Gastbeitrag von Ursula Engelen-Kefer im FOCUS
Nach dem überraschenden Sieg der SPD am 22. September 2024 in Brandenburg erfolgt gleich eine mehrfache Premiere: Erstmals gibt es einen Koalitionsvertrag zwischen SPD und BSW. Zudem ist er in weniger als einem Monat von den Vertragsparteien abgeschlossen. Jetzt ist es an den Parteigremien von SPD und BSW, ihren Beitrag für die Bildung einer neuen Regierung in "Rot" und "Lila" zu bilden.
Dies ist für die Bürger zunächst eine gute Botschaft. Sie sind trotz gravierender Multikrisen alles andere als von einvernehmlichem Regierungshandeln verwöhnt. Vielmehr sind sie den ständigen Querelen der Regierungsparteien im Bund bis zum Bruch der Ampel und Neuwahlen am 23. Februar 2025 ausgesetzt. Aber auch die parteipolitischen Kontroversen mit Einflussnahme von der Bundesebene bis zum drohenden Abbruch der Verhandlungen in Thüringen und Sachsen haben ihre Schatten vorausgeworfen.
Koalitionsbildung in Brandenburg zwischen SPD und BSW war kein "Spaziergang"
Die Einigung auf einen Koalitionsvertrag zwischen SPD und BSW war kein "Spaziergang", sondern wurde hart erkämpft mit Zugeständnissen der SPD an die Außen- und Verteidigungspolitik des BSW. Dazu waren allerdings die schwierigsten Klippen bereits umgangen in dem gemeinsamen Kanossagang des bisherigen und voraussichtlich zukünftigen Ministerpräsidenten (Wahlsieger) in Brandenburg Dietmar Woidke (SPD) sowie der CDU-Spitzenkandidaten in Thüringen und Sachsen qua Gastbeitrag in der FAZ.
Für uns als Sozialverband sind die sozialpolitischen Markenzeichen in dem Koalitionsvertrag ausschlaggebend. Dazu hat die Biografie des BSW-Unterhändlers und Parteivorsitzenden in Brandenburg, Robert Crumbach, sicherlich ihren Ausschlag gegeben. Crumbach war mehr als drei Jahrzehnte Arbeitsrichter, Gewerkschafter und Politiker. Sein SPD-Parteibuch tauschte er im April 2024 für das neu gegründete BSW aus
Seiner Handschrift ist es sicherlich zu verdanken, dass die Maßnahmen für gute Arbeit einen deutlichen Niederschlag in dem Koalitionsvertrag finden. Das “Neue“ in der Regierungspolitik, auf das sich die beiden Parteien verpflichten, ist die Erhöhung des Vergabemindestlohnes auf 15 Euro und damit ein Niveau der Armutsfestigkeit.
Wichtige Zugeständnisse an die Gewerkschaften
Umfassende soziale Gerechtigkeit für die vielen Niedriglöhner auch in Brandenburg wird allerdings erst dann erreicht, wenn der allgemeine Mindestlohn von 12,82 Euro ab Januar 2025 auf 15 Euro angehoben wird. Es wird abzuwarten sein, mit welcher Konsequenz und Durchschlagskraft die versprochene Initiative über den Bundesrat verfolgt wird.
Jedoch will auch der Noch-Bundeskanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz als sein Wahlkampfschlager den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen. Im Übrigen hatte Olaf Scholz seinen überraschenden Wahlsieg bei der vorherigen Bundestagswahl in einer beachtlichen Aufholjagd gegenüber der CDU mit der Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro eingefahren. Die Chancen einer Bundesratsinitiative für eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 15 Euro, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, dürfte daher nicht ohne Aussicht auf Erfolg bleiben.
Wichtige Zugeständnisse an die Gewerkschaften sind zudem die im Koalitionsvertrag angekündigten gesetzlichen Initiativen zu Tariftreueregelungen. Dies gilt für das Versprechen gesetzlicher und praktischer Maßnahmen zur Durchsetzung und Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung sowie der Regelungen zur Arbeitszeit sowie zum Arbeitsschutz.
Neues ist ebenfalls die Erhaltung aller Krankenhausstandorte – als Kontrastprogramm zur Krankenhausreform, um deren Verabschiedung auch im Bundesrat bis zuletzt mit harten Bandagen gekämpft wurde – bis zur Entlassung der Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne), weil sie sich gegen ihren Ministerpräsidenten Woidke und damit gegen die Brandenburg-Delegationsdisziplin mit Handschrift bereits des BSW für den SPD-Gesetzentwurf aussprechen wollte.
Vorhaben erfordern zusätzliche finanzielle Mittel der Landesregierung
Für die Bürger in Brandenburg ist es sicherlich eine gute Botschaft, dass alle Krankenhausstandorte erhalten bleiben sollen. Gerade in den ländlichen Regionen reicht der ÖPNV hinten und vorne nicht. Viele Bürger sind daher auf in der Nähe gelegene Krankenhäuser angewiesen. Aber dies bedingt gleichzeitig die Sicherung ausreichender medizinischer und pflegerischer Leistungen. Dies ist nicht zum Nulltarif zu haben, sondern erfordert zusätzliche finanzielle Beiträge der Landesregierung.
Sie muss endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommen und die Finanzierung der Investitionskosten in den Krankenhäusern vollständig übernehmen. Dann haben die Krankenhäuser größere finanzielle Spielräume, die Gesundheitsversorgung der Bürger zu verbessern.
Gleiches gilt im Übrigen auch für die stationäre Versorgung in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Dies ist dringend erforderlich, um die betroffenen pflegebedürftigen Menschen von den ständig steigenden und die Renten weit übersteigenden Zusatzkosten zu entlasten. Auch die übrigen Versprechen im Koalitionsvertrag wie für Alten- und Jugendhilfe; Bildungs- und Ausbildungspolitik, Ausbau des ÖPNV, Behindertenpolitik von der Barrierefreiheit bis zur Inklusion in allen Lebensbereichen, des Ausbaus von Schutzräumen in Frauenhäusern zum Gewaltschutz von Frauen und Kindern, als "Weiter so" und als "Neue Maßnahmen" erfordern zusätzliche finanzielle Mittel der Landesregierung.
Es ist daher nur als Desillusionierung dieses Koalitionsvertrages zu sehen, dass für Alles und Jedes der Haushaltsvorbehalt gilt, d. h. die Maßnahmen nur in Angriff genommen und umgesetzt werden, wenn in dem zu beschließenden Haushalt die erforderliche Finanzierung zur Verfügung gestellt werden kann. Ob dies ohne eine Lockerung der rigorosen Schuldenbremse für die Bundesländer möglich ist, scheint mehr als fraglich. Ob es der Landesregierung gelingt, die erforderliche Unterstützung für und durch eine Bundesratsinitiative zustande zu bringen, bleibt abzuwarten. Dazu muss die SPD/BSW-Regierung noch ihr Gesellenstück abliefern.
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