Die Bezirksbürgermeisterin von Reinickendorf Emine Demirbüken-Wegner engagiert sich schon seit Jahren gegen Einsamkeit in Berlin und richtete am 16. Dezember gemeinsam mit der neuen Einsamkeitsbeauftragten des Bezirks, Katharina Schulz, den zweiten Einsamkeitsgipfel, der künftig jährlich stattfinden soll, im Rathaus Reinickendorf aus. Nicht nur mit der Berufung einer bezirklichen und sogar bundesweiten ersten Einsamkeitsbeauftragten setzte sie Anfang 2024 ein klares Zeichen als Vorreiterin. Vielmehr wollte sie mit dem Einsamkeitsgipfel deutlich machen „Einsamkeit ist kein Schicksal, sondern ein Problem, das wir gemeinsam lösen können.“
Der Psychiater und Stressforscher Dr. med. Mazda Adli, (Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs „Affektive Erkrankungen“ an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin Berlin) beleuchtete Einsamkeit aus der Perspektive der Betroffenen und versuchte dabei besonders die psychischen Folgen zu beschreiben. So bezeichnete er Einsamkeit als einen „besonderen Seelenschmerz“.
Einsame Menschen fühlten sich sozial isoliert und das erzeuge sozialen Stress. Dieser wiederum führe dazu, dass in großem Maß Stresshormone ausgeschüttet werden. Ein Beispiel also für die erheblichen gesundheitlichen Risiken die Einsamkeit für die Betroffenen in sich birgt. Das Empfinden von Einsamkeit könne somit auch als biologisches Warnsignal gedeutet werden, dass eine Mangelsituation anzeige, ähnlich wie Hunger oder Durst. Ein umfassendes Verständnis der Anzeichen, aber auch des tatsächlichen Ausmaßes von Einsamkeit sei deshalb für Politik, Medizin und Gesellschaft extrem wichtig, um gezielt gegensteuern zu können.
Dr. med. Mazda Adli, forscht aktuell am „Citizen ScienceProjekt“ in Berlin. Dabei untersucht ein Forschungsteam der Charité, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Technischen Universität in Zusammenarbeit mit dem Futurium und dem King’s College London, wie die gebaute und die soziale Umwelt in der Stadt Emotionen auslöst und so das psychisches Befinden mitbestimmt. Ziel ist es, eine sogenannte „Emotionsstadtkarte Berlins“ zu erschaffen, auf der sowohl Wohlfühl- als auch Stressorte oder emotionale Hotspots erkennbar sind. Dadurch soll herausgearbeitet werden, wo in der Stadt Stress entsteht, aber auch welche Orte als besonders schön oder interessant empfunden werden.
Stefanie Wind, Sprecherin der bezirklichen AG Einsamkeit-Exit lenkte das Augenmerk auf die Gruppe der älteren Menschen, die bei diesem Einsamkeitsgipfel im Fokus standen. Die AG selbst ist ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Akteuren im Bezirk, die gemeinsam ein Netzwerk von Anlaufstellen und Orten aufgebaut haben, wo einsame Menschen ein offenes Ohr oder Unterstützung finden. In ihrem Vortrag betonte sie, dass die Praxis gezeigt habe, dass die noch vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen der älteren Menschen immer der zentrale Maßstab für die inhaltliche Ausgestaltung solcher Angebote sein müssen, weil sie sonst ins Leere laufen.
Zum besseren Verständnis erläuterte sie, dass sich drei Gruppen herauskristallisiert hätten: Die erste Gruppe sei zwar einsam, könne sich aber noch aus eigener Kraft herausarbeiten, d.h. sie gehen noch selbst in die Interaktion nach außen.
Die zweite Gruppe habe genau diese Fähigkeit nicht mehr. Deshalb brauche es hier sogenannte Türöffner*innen, damit die Angebote überhaupt erstmal zu den Menschen kämen. Die Berliner Hausbesuche seien z.B. ein solcher Türöffner.
Die dritte Gruppe sind die hochaltrige Menschen ab 80 Jahren. Aufgrund ihres hohen Alters seien sie meist pflegebedürftig oder litten an erheblichen gesundheitlichen und motorischen Beeinträchtigungen, welche ihre Möglichkeiten, noch selbst aktiv zu werden, extrem eingeschränkten. Diese Gruppe sei faktisch sozial stark isoliert, damit fast unsichtbar und deshalb besonders schwer zu erreichen. Hier bedarf es also einer besonderen Sensibilität für deren Bedarfe und Wünsche. Der Begriff des „Seelenschmerzes“ lässt sich der Perspektive dieser Gruppe sehr gut nachfühlen.
Obwohl belegt ist, dass Einsamkeit kein individuelles Problem ist, ranken sich dennoch viele Stigmata und Tabus darum, die es den Betroffenen besonders schwermachen, einen Ausweg zu finden. Scham und Schuld sind zwei der schwerwiegenden Hürden.
Dr. Adli machte dafür besonders den Individualismus verantwortlich, der im Laufe der Zeit zu einem positiv besetzten gesellschaftlichen Ideal erhoben wurde. Einsamkeit wird vielfach mit einem sozialen Versagen gleichgesetzt und auf den einzelnen Menschen zurückgeworfen.
„Jede*r ist seines Glückes Schmied*in“, ist ein Sprichwort, dass ziemlich gut ausdrückt, was gemeint ist. Die Zusammenhänge zwischen individuellem Einsamkeitsempfinden und gesamtgesellschaftlichen Ursachen herzustellen ist deshalb eine wichtige Aufgabe der Forschung. Die Sensibilisierung eines jeden Einzelnen von uns gehört ebenfalls dazu. Dr. Adli schenkte dem Einsamkeitsgipfel in diesem Sinn folgendes Zitat „Einsamkeit ist nicht traurig, wenn sie beachtet wird“.
Die Bezirksbürgermeisterin ihrerseits erklärte in ihrem Schlusswort den 16. Dezember offiziell zum „Tag gegen Einsamkeit“ und schickte den Wunsch in die Welt, das Land Berlin möge doch endlich eine/n Einsamkeitsbeauftragte/n für die ganze Stadt benennen.