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Politik muss Barrierefreiheit beim Wohnen herstellen

Aktuelles

Am 5. Mai ist der EU-Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Darüber hinaus ist es zum 15-jährigen Jubiläum der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) an der Zeit, erneut nach ihrer praktischen Umsetzung zu fragen. Dabei zeigt die im Sommer 2023 abgeschlossene Staatenprüfung des UN-Fachausschusses für Deutschland erhebliche Mängel nicht nur bei der Inklusion in den Bereichen Bildung und Arbeit, sondern bei der Barrierefreiheit aller gesellschaftlich wichtigen Lebensbereiche. Dazu gehören auch Wohnraum und Wohnumfeld, wie in § 19 der UN-BRK aus- und eindrücklich festgehalten.

Auszug aus § 19 UN-BRK:
„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, … indem sie unter anderem gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, … zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.“

Bei den hohen Steigerungen für Mieten sowie Mietnebenkosten wird Wohnen immer mehr zu einem der entscheidenden sozialen Probleme bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Dies gilt in besonderem Maße für Berlin als Mieterstadt mit über 80 Prozent der Bevölkerung in Mietwohnungen. Gleichzeitig sind die Vorhaben zur Erhöhung des Wohnungsbestandes weder im Bund noch in Berlin durchsetzbar. Der starke Anstieg von Baukosten und Zinsen sowie der zunehmende Mangel an Arbeits- und Fachkräften machen die anspruchsvollen Planungen in den Koalitionsvereinbarungen zur Makulatur.

Besonders negativ betroffen sind Menschen mit Behinderungen und häufig in höherem Lebensalter. Dies gilt bei der Suche nach barrierefreien bezahlbaren Wohnungen, aber auch für den Verbleib in der gewohnten Wohnumgebung bei zunehmendem Alter, gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen sowie Schwerbehinderungen. Dies wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen, wenn die Generation der Babyboomer in den Ruhestand geht und die Anzahl der Menschen in höherem Lebensalter bis zu den Hochaltrigen weiter zunimmt. Damit verstärken sich auch die Anforderungen an die Versorgung mit altersgerechtem und barrierefreiem Wohnraum.

Der Bedarf nach Barrierefreiheit ist je nach individueller Situation höchst unterschiedlich – ob es sich z. B. um Menschen mit Gehbehinderungen bis zu Rollstuhlfahrer*innen handelt oder um Menschen mit Seh- oder Hörbehinderungen und immer mehr mit psychischen Einschränkungen.

Jüngste Untersuchungen zeigen die Dramatik dieses Missverhältnisses bei der Wohnraumversorgung besonders deutlich: Bereits heute fehlen in Deutschland 2,2 Millionen barrierefreie Häuser und Wohnungen; bis 2040 werden es 3,3 Millionen sein. Für Berlin ist überhaupt keine Übersicht möglich, da es trotz vielfacher Bemühungen immer noch kein Kataster für barrierefreien Wohnraum in den Bezirken gibt. Dabei müssen auch die Mieter*innen in Berlin immer mehr auf Randgebiete ausweichen. In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil derjenigen, die in der Innenstadt Wohnraum zur Miete suchen, um fast 20 Prozentpunkte gesunken.

Nach einer repräsentativen Befragung von Personen aller Altersgruppen sowie unterschiedlicher Einkommenshöhe ist Barrierefreiheit eher die Ausnahme. Nach Auffassung von 56 Prozent der Befragten sind ihre Wohnungen überwiegend oder überhaupt nicht altersgerecht oder barrierefrei gestaltet. So kommen nur ein Fünftel der Befragten über 65 Jahre barrierefrei überhaupt in ihre Wohnung. Ebenfalls verfügen nur wenige der Befragten in dieser Altersgruppe über einen Fahrstuhl und nur ein Viertel hat eine ebenerdige Dusche.

Dabei bleibt der Skandal, dass erforderliche Umbauten zwar über die KfW oder Pflegekassen gefördert werden, allerdings bei Auszug aus der Wohnung der Rückbau auf Kosten der Mieter vorgenommen werden muss. Zudem kann der Vermieter verlangen, dass für derartige Rückbauten vom Mieter finanzielle Sicherheiten beizubringen sind.

Die Politik ist somit gleich mehrfach gefordert, um dem Anspruch der Menschen nach Barrierefreiheit beim Wohnen nachzukommen: Die Bauordnung von Berlin ist entsprechend anzupassen; die Anforderungen an Barrierefreiheit von Wohnungen sind auf ihre praktische Umsetzung zu kontrollieren; die Bezirke müssen das bereits seit langem ausstehende Kataster als Übersicht über Wohnraum mit Bezahlbarkeit und Barrierefreiheit in die Wege leiten; der Anachronismus der Rückbauverpflichtung auf Kosten des Mieters ist endlich zu beseitigen; die Verpflichtung zur Zurverfügungstellung bezahlbaren barrierefreien Wohnraumes ist in die Kooperationsvereinbarung des Senats mit den landeseigenen Wohnungsunternehmen aufzunehmen.